Ablauf eines Bandscheibenvorfalls: Eine persönliche Geschichte

Hallo! Mein Name ist Kyan Rytzell und ich bin in Genf geboren. Ich bin seit kurzem Physiotherapeut bei Stronger und ich mache viel Sport wie Stand Up Paddling, Laufen, Schwimmen oder Ringen. Ich habe auch an der „Patrouille des Glaciers“ teilgenommen und wir haben 2021 mit einigen Freunden den Triathlon von Genf gewonnen. Sport ist mir sehr wichtig, dazu interessiere ich mich für alles, was dabei hilft, den menschlichen Körper zu optimieren. Dazu gehören gesundes Essen, Sauna, Eisbaden und so weiter. Ich bin mit 26 Jahren noch sehr jung, sportlich und gesund. Als Physiotherapeut kenne ich mich mit der Anatomie des menschlichen Körpers aus.

Im Dezember 2022 bemerkte ich, was wir in unserem Beruf "Positive Single Leg Raise" nennen, ein Test, den wir durchführen, um bei unseren Patienten einen Bandscheibenvorfall zu diagnostizieren. Ich hatte Rückenschmerzen, die bis in die Gesässgegend ausstrahlten. Scheisse!

Was ist ein Bandscheibenvorfall?

Bildquelle: BruceBlaus. Blausen.com staff (2014). "Medical gallery of Blausen Medical 2014". WikiJournal of Medicine 1 (2). DOI:10.15347/wjm/2014.010. ISSN2002-4436., Blausen 0484 HerniatedLumbarDisc, Übersetzung: HiE, CC BY 3.0

Von einem Bandscheibenvorfall spricht man, wenn die "kaugummiartige" Struktur zwischen den Wirbeln im Rücken zu wandern beginnt und auf einen Nerv drückt. In der Abbildung ist der Nerv gelb dargestellt. Blau ist die Bandscheibe, die eben wie eine Art Kissen zwischen den Wirbeln aus Knochen liegt. Bei einem Bandscheibenvorfall, auch Duskushernie genannt, tritt die Masse aus und drückt möglicherweise auf den Nerv. Das kann zu Schmerzen, Taubheitsgefühl oder sogar zu Lähmungen führen, wenn der Fall wirklich ernst ist.

 

Ich bin nicht in Panik geraten, da ich in unserem Studium gelernt habe, dass sich 70% der Bandscheibenvorfälle bei konservativer Behandlung innerhalb von 3 Monaten zurückbilden (The probability of spontaneous regression of lumbar herniated disc: a systematic review).

Ich änderte einige Aktivitäten, verringerte das Gewicht beim Fitnesstraining und erhöhte meine Schwimmzeit. Doch nach dreieinhalb Monaten verschlimmerten sich die Beschwerden. Die Symptome der Bandscheibe strahlten bis hinter das Knie und in die Wade aus. Anfang März konnte ich nicht mehr als 200 Meter am Stück gehen. 





Braucht es eine Operation?

Die Entscheidung für eine Operation richtet sich nach der Ernsthaftigkeit der Anzeichen und Symptome, und es gibt auch einige "Red Flags", bei denen eine dringende Operation nötig ist. Diese "Red Flags" sind ein manueller Muskeltest von 3 oder weniger, was bedeutet, dass der Fuß des Patienten abfällt oder man nicht in der Lage ist, sein eigenes Bein anzuheben. Ein weiteres Warnsignal, das sofortige Aufmerksamkeit erfordert, ist ein Cauda-Equina-Syndrom, wenn die Blase oder der Analschliessmuskel nicht richtig funktionieren und/oder ein Gefühlsverlust im Bereich der Genitalien, eine so genannte "Sattelparästhesie", auftritt (Epidemiological study of cauda equina syndrome).

 

Wenn aber keine "Red Flags" vorliegen, die konservative Behandlung aber dennoch fehlschlägt, wird ein „Sweet Spot“ zwischen 3 und 6 Monaten für eine Operation gefunden. Denn wird zu schnell operiert, haben wir der konservativen Behandlung keine Chance gegeben, und wir wissen ja, dass sich 70 % der Bandscheibenvorfälle innerhalb von 3 Monaten von selber verbessern. Wenn wir jedoch zu lange warten, das zeigen die Studien, sind die Ergebnisse der Operation nicht so gut. (Herniated discs: when is surgery necessary?)

 

Ich kannte diese Fakten und entschied, mich unters Messer zu legen, denn die langfristige Erfolgsrate liegt bei circa 80%. (Long-Term Results of Various Operations for Lumbar Disc Herniation: Analysis of over 39,000 Patients)

Nach circa 4 Monaten konservativer Behandlung haben wir uns für die Operation am 28. März 2023 in Genf, in der Klinik "La Colline“, entschieden.

 

Und so verlief die Operation:

Sie machten eine winzige Öffnung in der Grösse einer 2-Franken-Münze. Dann bewegen sie die Muskeln zur Seite, bohren durch den Knochen und bewegen die Nervenwurzel ebenfalls vorsichtig zur Seite. Anschliessend entfernen sie so viel wie nötig und so wenig wie möglich der herausstehenden Bandscheibe und das war's. Zum Schluss wird die gesamte Struktur mit selbstentfernenden Nähten verschlossen und der Körper erledigt den Rest (Das Video rechts zeigt ziemlich gut, wie so eine Operation aussehen könnte).

  

Ich wachte in der Klinik auf, und als ich aufstand, war der Schmerz im Bein weg. Ich ging ein paar Schritte auf dem Gang, denn ich weiss, dass eine frühzeitige Mobilisierung ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Operation ist, da dadurch viele potenzielle Probleme verringert werden (What Is the Evidence for Early Mobilisation in Elective Spine Surgery? A Narrative Review).

Am Morgen machte ich einen schönen kleinen Spaziergang im Park neben der Klinik, wo die Blumen und Bäume blühten. Als ich zurückkam, sah ich einen der Patienten, der ebenfalls an der lumbalen Wirbelsäule operiert wurde, und die Sonne genoss. Ich sah ihn auf dem Balkon, wie er eine Zigarette rauchte, und da kam mir diese spezielle Studie in den Sinn. Diese zeigt, dass von all diesen Faktoren - Alter, Geschlecht, Gewicht und Rauchen - nur das Rauchen ein Risikofaktor für eine erneute Operation aufgrund eines wiederkehrenden lumbalen Bandscheibenvorfalls war. (Smoking Is an Independent Risk Factor of Reoperation Due to Recurrent Lumbar Disc Herniation)

 

Die Rehabilitation nach der Bandscheibenoperation

Einen Tag nach der Operation konnte ich wieder nach Hause gehen, und meine Rehabilitation konnte beginnen.

 

1. Woche

Mein Ziel war es, drei Mal am Tag spazieren zu gehen und die Länge dieser Spaziergänge schrittweise zu erhöhen. So begann ich am ersten Tag mit 200 Metern, aber am Nachmittag konnte ich bereits 500 Meter gehen. Am 2. Tag konnte ich bereits 3 Spaziergänge von 1,5 km in langsamem Tempo machen. Am 3. Tag waren es 2 km. Am 4. Tag waren es 2,5 km. Am 5. Tag waren es 3 km. 

Am 6. Tag begann ich meinen Job bei Stronger in Höngg! 1 Woche später konnte ich 3 Spaziergänge von 4 km machen, jeder davon etwas weniger als eine Stunde lang.  

Wenn ich jedoch länger als 20 Minuten sass, bekam ich seltsame Empfindungen in meinem Unterschenkel. Also versuchte ich, aktiv zu bleiben und mich so viel wie möglich auf sanfte Weise zu bewegen.

Ein interessantes Phänomen war, dass ich in den ersten zwei Tagen keinen positiven „Single Leg Raise“-Test hatte (dies wäre, wie eingangs besprochen, ein Anzeichen für eine Banscheibenproblematik), aber nach dem zweiten Tag begann ich, jedes Mal, wenn ich mein Bein anhob, ein Spannungsgefühl zu spüren. Dieses Phänomen wird als Rebound bezeichnet, bei dem die Entzündung an der Operationsstelle zunimmt und eine Entzündung um die Nervenwurzel herum verursacht, die in der Regel nach 2-3 Wochen wieder verschwindet. (A Postoperative Phenomenon of Percutaneous Endoscopic Lumbar Discectomy: Rebound Pain)

 

2. Woche

Es lief grossartig! Je mehr ich mich bewegen konnte und je weniger ich lange sitzen oder stehen musste, desto besser ging es mir.

Ich habe immer 2 bis 3 Spaziergänge von 3 bis 5 km gemacht, jeden einzelnen Tag. Ich geniesse es sehr, Spaziergänge zu machen, an der Limmat oder zum Beispiel den Hönggerberg hoch und runter. Ich habe versucht, meine Hüften und meinen unteren Rücken sanft zu bewegen. Ich begann langsam mit ein paar Planks und hängte mich vorsichtig an eine Stange, hob aber noch kein Gewicht! 

Am Sonntag der 2. Woche ging ich 12 km spazieren, und ein paar Tage später konnte ich sogar zwei Mal 10 km laufen (also das schweizerdeutsche „Laufen“), was in Bezug auf körperliche Aktivität mehr als genug ist.

 

Der "Single Leg Raise", der Test, den wir zur Diagnose eines Bandscheibenvorfalls durchführen, liegt jetzt bei 75º, was 5º näher an dem des anderen Beins ist. Ich arbeite daran, meine Kraft in den Waden und im Gesäss wieder zu kriegen.

In dieser 2. Woche waren wir mit dem ganzen Team in der Limmat zum Kaltbaden! Insgesamt und nach dieser zweiten Woche kann ich sagen, dass die Rehabilitation gut läuft!

 

Mein Reha-Programm

Hier ist mein Reha-Programm für die nächsten 6 Monate.

Ich werde so viel wie möglich laufen und darauf achten, was ich esse. Massgeblich für den Erfolg meiner Reha wird sein, dass ich genügend Eiweiss esse, und die Kalorien insgesamt im Griff behalte, damit ich kein Gewicht in Form von Fettgewebe zunehme, weil ich doch weniger Sport treibe als vorher.

In der 3. Woche werde ich mit dem Velo beginnen. Schwimmen kommt in der 4. Woche dazu. Diese drei Aktivitäten werden den Fokus meiner Rehabilitation sein: Gehen, Velo und Schwimmen. Genauer gesagt werde ich daran arbeiten, meine Muskelmasse wieder aufzubauen, die durch den eingeklemmten Nerv verkümmert ist, und ich werde in den nächsten 6 Monaten langsam zu meinen Aktivitäten wie Joggen, Stand Up Paddling oder Ringen zurückkehren.

Übrigens: Wir hören oft Aussagen wie „Ich habe mir den Nerv eingeklemmt“ oder ähnlich. Was passiert, wenn man sich tatsächlich einen Nerv einklemmt, habe ich bis hierhin beschrieben, Schmerzen, Taubheit, Verlust der Muskelmasse, Operation, lange Rehabilitation. Die Nacken- oder Rückenschmerzen, die als „eingeklemmter Nerv“ interpretiert werden, rühren in aller Regel von muskulären Verspannung oder dergleichen.

 

Ich bin froh, dass Höngg so viele Möglichkeiten zum Laufen, Radfahren oder Schwimmen bietet und ich meine Rehabilitation in der Praxis, in der ich arbeite, mit einem tollen Team machen kann!

  

Kyan

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