Kann Dehnen nützlich sein?

In diesem Artikel klären wir, ob und inwiefern regelmässiges Dehnen für den Körper und das Training nützlich sein kann.

Schon seit langer Zeit nährt das Thema Dehnen den Boden, aus denen viele Mythen und Fragen spriessen. Wie der rasant wachsende Bambus haben sich im Nu zwei Lager gebildet, die ähnlich verfeindet sind, wie die Diätzeloten der High-carb- und Low-carb-Communitys. Dass das ‘Stretching’, wie die coolen Kids sagen, so umstritten ist, hat seine Wurzeln, um bei der botanischen Analogie zu bleiben, in der Wissenschaft und der Fitnessindustrie, aber natürlich auch im Drang vieler Journalisten, alles zu einem verkaufsstarken Sensationsartikel zu machen.

 

Lange wurden diverse Methoden, mögliche Resultate und Anwendungsbereiche vorgeschlagen und propagiert. Mittlerweile herrscht Klarheit, wir haben sozusagen eine Lichtung im Dickicht des Fitnesswaldes gefunden. Aber wie so oft halten sich alte und als falsch erwiesene Muster hartnäckig. Wir wollen, dass auch du weisst, wann, wozu und wie Dehnen sinnvoll ist, damit du dich von den Fesseln alter Unwahrheiten befreien kannst. (zu dramatisch)

Wieso dehnt man überhaupt? Um beweglicher zu werden? Um Muskelkater und Verletzungen vorzubeugen? Oder einfach nur, weil es dazu gehört?

Beim Dehnen geht es in erster Linie darum, die Beweglichkeit zu verbessern. Wieso? Hier ist das Problem:

Grundsätzlich haben wir im Körper Muskeln, welche eher zu erhöhtem Tonus (=Muskelspannung) und Verkürzung neigen, die sogenannte tonische Muskulatur, und andere, sogenannte physische Muskeln, welche eher zur Abschwächung neigen. Ob Muskeln zur physischen oder zur tonischen Muskulatur zählen, hängt von der Zusammensetzung der unterschiedlichen Muskelfasertypen innerhalb eines Muskels ab. 

Haben wir eine verkürzte Muskulatur, liegt entweder eine Verkürzung des Bindegewebes vor, das die Muskulatur umgibt, oder ein sogenannte Sarkomerverkürzung. Sarkomere sind einzelne Bausteine in der Muskulatur, die hintereinandergeschaltet sind und bei Nichtgebrauch abgebaut werden. Dies geschieht aber nur, wenn wir uns lange Zeit nicht über unser volles Bewegungsausmass bewegen (deshalb ist es auch so wichtig, beim Training immer die volle Bewegung zu trainieren!).

Zur Verkürzung neigen Muskeln, welche vermehrt Typ-I-Fasern enthalten (Slow-Twitch-Fasern). Sie sind für langsame Bewegungen zuständig und können dafür stundenlang arbeiten. Muskeln, die dazu zählen, sind der Hüftbeuger, der vordere und hintere Oberschenkelmuskel und die Adduktoren.

Zur Abschwächung neigen sogenannte Muskeln, welche vermehrt Typ-II-Fasern beinhalten (Fast-Twitch-Fasern). Diese Muskeln arbeiten sehr schnell, dafür nur für kurze Zeit, und können sehr viel Kraft generieren. Ein Beispiel ist die Gesäss- und obere Rückenmuskulatur. Wenn wir unsere Muskulatur aufgrund unserer Belastungs- und Bewegungsmuster zu einseitig belasten, z.B. durch langes Sitzen im Büro (8h pro Tag, 5 Tage pro Woche) oder weil wir beim Fussball viel häufiger mit dem rechten Bein passen, flanken und schiessen, können gewisse Muskeln verkürzen oder abschwächen. Dies ist mitunter ein Grund, wieso beispielsweise viele Büroleute über Nackenspannungen und Rückenschmerzen klagen. Der Hüftbeuger verkürzt dann vielleicht, weil die Beine 22-24 von 24 Stunden pro Tag angewinkelt sind (8h Büroarbeit, 8h Schlaf in der Embryoposition, und 4h beim Autofahren, beim Sitzen auf dem Sofa und am Esstisch, etc.). Dies führt zu erhöhtem Tonus (Spannung) im unteren Rücken, weil jetzt die Rückenstrecker für den verkürzten Hüftbeuger kompensieren müssen, und kann schlussendlich zu den erwähnten Rückenschmerzen führen. Wieviel hilft es eigentlich, zweimal pro Woche 5 Minuten zu dehnen, wenn ich fast 24 Stunden pro Tag den «Fehler» verstärke? Wir lassen die Frage mal noch offen…

 

Okay, gut. Mein Hüftbeuger ist zu kurz. Wie soll ich den jetzt dehnen?

 

Es gibt verschiedene Arten, zu dehnen. Zwei davon sind weitgehend bekannt, das statische und das dynamische Stretching.

Beim dynamischen Dehnen wippt man wiederholt in die Dehnung rein (und wieder raus), beim statischen Dehnen hält man die Position für eine bestimmte Dauer.

Vor dem Training solltest du nicht dehnen und schon gar nicht statisch. Beim statischen Dehnen will man die Beweglichkeit passiv erhöhen und die Spannung aus der Muskulatur nehmen. Vor dem Training wollen wir jedoch genau das Gegenteil erreichen, wir wollen die Muskulatur aktivieren und auf die kommende Arbeit vorbereiten. Statisches Dehnen vor dem Training erhöht die Verletzungsgefahr, liebe Juniorentrainer!!

Wenn du statisch dehnen willst, dann bitte nach dem Training und/oder an trainingsfreien Tagen.

 

Soll ich denn jetzt überhaupt dehnen?

Neuere Studien haben ganz klar gezeigt, dass Krafttraining zu einer verbesserten Beweglichkeit führt. Krafttraining konnte im Vergleich zum Dehnen sogar einen besseren Effekt auf die Beweglichkeit aufzeigen, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Vorteilen, die du durch das Krafttraining geniessen darfst, wie den Kraftzuwachs, eine verbesserte Knochendichte, effektive Verletzungsprophylaxe und Schmerzreduktion, um nur ein paar der vielen Vorteile zu nennen (ja, wir sind grosse Fans).

 

Wichtig:

Damit dieser positive Effekt auf die Beweglichkeit zustande kommt musst du unbedingt beachten, dass du die Bewegungen immer im vollen Bewegungsausmass ausführst! Man geht beim Squat ganz tief runter, berührt beim Bankdrücken mit der Stange leicht den Brustkorb oder tangiert beim Ausfallschritt fast den Boden mit dem Knie, etc.

Aber: Wenn du am Anfang des Trainings stehst, erreichst du wahrscheinlich noch nicht bei allen Übungen das volle Ausmass der Bewegung (wir sprechen übrigens häufig vom ROM=’Range of Motion’). In diesem Fall eignet es sich, einige zusätzliche Dehnübungen in dein Training und deinen Alltag zu integrieren.

 

Jetzt stellen sich natürlich noch zwei entscheidende Fragen:

1.    Wie oft sollte ich dehnen?

2.    Was soll ich denn überhaupt dehnen?

Zur ersten Frage: Wenn die Dehnübungen prophylaktischen Charakter haben, reichen ein paar gezielt ausgewählte Übungen drei Mal pro Woche, optimalerweise nach deinen drei Krafttrainingseinheiten.

Wenn deine Muskulatur bereits verkürzt ist, genügt das leider nicht mehr. Ein Schaden, der über Jahre hinweg entstanden ist, und über die meiste Zeit des Tages und der Nacht, während den meisten Wochen des Jahres weiter ‘gepflegt’ wird, lässt sich nicht mit dreimal pro Woche kurz dehnen wieder ausmerzen.

Die Empfehlung für verkürzte Muskulatur lautet deshalb: 3-5x 30 Sekunden/Muskel, 3-5x/Tag, jeden Tag.

Der Effekt, also die erhöhte Beweglichkeit, und im Idealfall die entsprechende Schmerzlinderung und Lebens- und Alltagsverbesserung, kann glücklicherweise einfach etwas beschleunigt werden. Mehr Bewegung ist gefordert! Und zwar im Alltag! Tagein, tagaus führen wir Bewegungen durch, die wir ganz einfach dazu verwenden können, unsere Beweglichkeit zu fördern, entscheidend ist wieder, dass man aufs ganze Bewegungsausmass geht. Ein paar Beispiele:

-       3 Treppentritte in einem Satz nehmen

-       Aufrecht gehen und grosse Schritte dabei machen

-       Die Wäsche auf dem Boden zusammenlegen oder mal vom Schneidersitz aus TV schauen

Grundsätzlich geht es ein bisschen darum, nicht immer dein Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, schliesslich müssen wir in der heutigen Zeit mit unserem Körper nicht immer auf Sparflamme sein.

 

Und nun zur zweiten Frage: Es ist natürlich immer sinnvoll, sich von einem Profi, z.B. bei uns, untersuchen zu lassen, um die eigenen Defizite klar aufgezeigt zu bekommen. Ein paar Körpergegenden und Muskelgruppen sind aber bei vielen Menschen in verkürzter Fassung erkennbar, weshalb wir trotzdem ein paar generische Muskelpartien nennen können:

 

-       Gesäss

-       Iliopsoas (Hüftbeuger)

-       Quadrizeps und Hamstrings (vordere und hintere Oberschenkel; witzig, oder?)

-       Adduktoren

-       Pectoralis (Brustmuskulatur)

-       Wade

 

Wenn du noch keine Übungen kennst, um diese Muskeln zu dehnen, hilft eine kurze Internetrecherche. Und bedenke: Um mit Dehnen die Beweglichkeit zu verbessern, braucht es in erster Linie zwei Dinge. Erstens Geduld und zweitens Disziplin. Sogar in Kombination mit Krafttraining dauert es Monate, bis man grosse Fortschritte macht, die sich aber auf lange Frist definitiv lohnen!

Du kannst auch mit uns Kontakt aufnehmen, z.B. auf Instagram @strongercoaching, @selinawittenwiler oder @lorisnovo, auf Facebook unter den gleichen Namen oder unter info@strongercoaching.ch. Zeig uns gerne deine Dehnübungen auf Social Media indem du uns markierst!

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