Wieso der Nutri-Score mindestens nutzlos wenn nicht sogar schädlich ist

Disclaimer: Bei nachfolgendem Artikel handelt es sich ausschliesslich um meine Meinung, die ich präsentiere, damit auch andere sich eine Meinung bilden können. Dies betrifft sowohl den Nutri-Score wie auch genannte Lebensmittel und deren Hersteller. Die Organisation Nutri-Score hat vor einiger Zeit ein langes Blatt publiziert, dass versucht, Kritik daran zu mindern, erklären, usw. Der Link dazu findet sich am Schluss des Artikels. Viel Spass beim Lesen.

Seit geraumer Zeit, das Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen (kurz: BLV) unterstützt ihn seit 2019 (1), ist auf gewissen Produkten der sogenannte Nutri-Score abgebildet.

Dass er aus Frankreich stammt, hätte schon als erstes Warnsignal wahrgenommen werden sollen. Aber Spass bei Seite, Ein Pickel am Po, Pfeffer im Conditioner, Scheinwerfer im Kinosaal und der Nutri-Score haben eine grosse Gemeinsamkeit: Sie sind bestenfalls nutzlos - tendenziell eher mühsam.

Nach der nach wie vor unterlassenen Überarbeitung der Lebensmittelpyramide durch die vom BLV unterstützte SGE (=Schweizerische Gesellschaft für Ernährung), die seit Jahrzehnten fällig wäre, greift das BLV erneut schultertief in die randvolle Kloschüssel.

Gut gemeint aber schlecht ausgeführt ist grosszügig genug ausgedrückt.

Nun komme ich aber mal zur Sache, damit dir, der du dies liest, klar wird, worüber ich mich so eifrig echauffiere. 

Wer den Nutri-Score nicht kennt, es ist ein kleines Label, das, auf freiwilliger Basis, genutzt werden kann, um einige Lebensmittelverpackungen zu schmücken und, vermeintlich, anzugeben, wie “gesund” das dekorierte Lebensmittel ist. Betonung auf vermeintlich.

Zitat von der BLV-Website(2):

“Per Dezember 2021 haben sich 46 Produzenten und Detailhändler dafür verpflichtet, den Nutri-Score in der Schweiz auf insgesamt 118 Marken einzuführen”.

So sieht er, im Optimalfall, aus:

(https://www.sge-ssn.ch/media/1200px-Nutri-score-A_light_background_logo.jpg)

Kommt einem bekannt vor, oder?

Kürzlich machte Nestlé mit der schweizweiten Umsetzung der fünffarbigen französischen Lebensmittelampel Schlagzeile. 

Hier ist das Problem: Ungesunde Lebensmittel können beim Nutri-Score sehr gut abschneiden und ein “A” erhalten, gesunde Lebensmittel können mit “B” oder noch tiefer bewertet werden.

Es wäre doch ganz schön doof, wenn sich leichtgläubige aber unwissende Konsumenten in falscher Sicherheit wähnen, beim Einkauf auf den Nutri-Score setzen, und sich später die gleiche Frage stellen müssen, die schon immer in ihren Köpfen kreiste: “Wieso nehme ich nicht ab?”


Nun, weisst du, wie der Nutri-Score funktioniert? Weiss es irgendjemand? Oder noch besser gefragt: Wurde irgendjemand darüber informiert, was der Nutri-Score aussagen soll? Oder auf welcher wissenschaftlichen Basis der Algorithmus programmiert wurde? Meines Wissens nicht! Doch genau dort liegt der Hund begraben.

Es wird wohl erwartet, dass man sich selber informiert, zum Beispiel beim Händler auf der Website oder auf der Nutri-Score Homepage. Oder vielleicht, aber das ist natürlich nur Spekulation, wird davon ausgegangen, dass kaum jemand die Zeit aufwendet, um sich genauer zu informieren, und man gibt sich damit zufrieden, dass die Kundschaft irgendwelche zuckerbeladene Produkte für gesund hält.

https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/mueesli-cerealien/cerealien/nesquik-cerealien-500g/p/3583007?trackingtoken=produkt%7Carea1%7CA%7CPrudsysTestEmpfehlungslogiken%7Cproduct_campaign%7CP2P_sameCat

So schaffen es zum Beispiel diese Nesquik Cerealien, die man auch bei Coop erhält, auf ein sattes, grünes “A”.
Hier die Nährstoffe, direkt vom Coop-Onlineshop, pro 100g:

Energie: 380 kcal
Fett: 2.8g
Kohlenhydrate: 75g
davon Zucker: 22.4g
Protein: 8.5g
Ballaststoffe: 8.6g

Meine Einschätzung: Extrem kalorienhaltig (380kcal pro 100g), enormen Kohlenhydratgehalt (drei Viertel des Produktes, davon wieder ein Drittel Zucker, also insgesamt 22.4g pro 100g!). Wir sind aber froh um die 8.5g Protein.

Fazit: Nicht gesund! 

Vergleichen wir diese Cerealien mit einem ähnlichen Frühstücksprodukt, ebenfalls aus dem Hause Nestlé, diesen ultralecker aussehenden Cini Minis Churros, die mit einem mittelmässigem C ausgestattet wurden:

https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/mueesli-cerealien/cerealien/nestle-cini-minis-churros/p/6765311?trackingtoken=produkt%7Carea1%7CA%7CPrudsysTestEmpfehlungslogiken%7Cproduct_campaign%7CP2P_sameCat#tab=product-nutritions

Und natürlich auch hier die Nährwerte dazu, im Direktvergleich zu den obigen, “grünen” Nesquik Cerealien:

Die Nährwerte stammen von den oben aufgeführten Links. Rechts: Nesquik, links: Cini Minis Churros

Links also das böse “C” und rechts das “gesunde” A. Der Unterschied? Nun, die A-Variante hat, auf 100 Gramm wohlgemerkt, 15 Kalorien weniger (winziger Unterschied), 2g weniger Fett, 2g weniger Zucker, 4g mehr Ballaststoffe und 1g mehr Eiweiss. Wenn man sich an die empfohlene Portionengrösse von 30g hielte (was aber niemand macht; schon mal 30g Früchstückscerealien abgewogen?), wäre der Unterschied noch geringer. 

Häh?!

Mir ist es ein Rätsel, wie zwei so ähnliche Produkte auf solch arg unterschiedliche Ratings kommen. Entscheidend ist aber sowieso etwas anderes:

BEIDE PRODUKTE SIND GENAU GLEICH UNGESUND!!!!

Über gesunde und ungesunde Lebensmittel zu schreiben, füllt ein ganzes Buch. Oder zumindest einen eigenen Artikel. Es geht mir auch nicht darum, “ungesunde” Lebensmittel zu verteufeln. Die Debatte, ob etwas gesund oder ungesund ist, muss meines Erachtens nämlich sehr nuanciert geführt werden.

Du magst Cini Minis oder Nesquik und sie passen in deinen optimalen Tagesbedarf? Wunderbar, geniess es!

Für mich kommen diese Produkte in die gleiche Kategorie wie Dessert und Süsses:
So selten wie möglich konsumieren, da sehr kalorienhaltig und ungesund - aber lecker!

Nun schiesst der Nutri-Score für mich aber endgülitig den Vogel ab, wenn wir zum Vergleich noch ein drittes Produkt dazu nehmen, eines, dass sich direkt zwischen “A” und “C” einnistet, nämlich bei einem “B”.

Hast du es schon erraten? Ich spreche vom gefrorenen Rahmspinat, der gerade auch in meinem Gefrierfach anzutreffen ist und bei Aldi im Angebot steht (5).

Nicht nur sehr lecker, sondern natürlich auch extrem gesund, wie jeder weiss.

Man dürfte sich jetzt schon fragen, wie es dazu kommt, dass Rahmspinat sich bei diesem Score zwischen zwei sehr ähnlichen Frühstückscerealien befindet. Ein Blick auf die Nährwerte bringt leider auch keine Klarheit. Denn im Vergleich zu den beiden Nestlé-Produkten hat der Rahmspinat viel weniger Kalorien, pro 100g nämlich gerade 44kcal. Auch weniger Fett und enorm viel weniger Kohlenhydrate sind beim Spinat anzutreffen, dafür aber auch nur 2.2g Protein. 

Es kommt natürlich die Frage auf, wie es sein kann, dass die Cerealien besser (und schlechter) abschneiden, als Spinat, das trotz Rahm in jeder ernährungstechnischen Kategorie besser abschneidet:

  • viiiieeeeellllll weniger Kalorien (44kcal zu 380kcal pro 100g)

  • keine oder wenige Zusatzstoffe

  • von Natur aus enthaltene Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, die der Körper auch aufnehmen kann

Ein kleines Rechenbeispiel, das vor allem für Diätbewusste relevant ist:

Angenommen, Person A, nennen sie ihn Alfons, hat einen kalorischen Tagesbedarf von 2000kcal. Dies bedeutet, dass Alfons weder zu- noch abnimmt, wenn er 2000kcal pro Tag zu sich nimmt.

Würde Alfons diese Menge mit den Cerealien abdecken, stünden ihm für den gesamten Tag 520 Gramm Cerealien zur Verfügung. Beim Rahmspinat wären es rund 4.5 Kilogramm. Es darf sich jetzt jeder selber überlegen, wie es beispielsweise mit dem Sättigungsgrad über den Tag verteilt aussähe, wenn man ein halbes oder eben viereinhalb Kilo Lebensmittel zu sich nimmt (im übrigen empfehle ich natürlich auch nicht, 4 Kilo Spinat pro Tag zu essen!).

Beim Nutri-Score handelt es sich um eine vereinfachte aber leicht verständliche Skala wie wir sie spätestens in der Primarschule lernen:
Grün=gut, orange=mittelmässig und rot=schlecht. Würde man meinen! Wenn man diese fast schon unfehlbare Logik aber auf den Nutri-Score anwendet, stürzt man sich womöglich, oder eher mit grosser Wahrscheinlichkeit, ehrlich gesagt, in (noch mehr) Übergewicht und ungesundes Essverhalten. Denn jedes Mal, wenn jemand zu Nesquik statt zu Spinat greift, entscheidet man sich für die ungesündere Option der zwei!

Übrigens: Der eigentliche Sinn des Nutri-Scores bestünde darin, Lebensmittel untereinander zu vergleichen(6):

“Der Nutri-Score hilft, ähnliche Lebensmittel rasch zu vergleichen und die gesündere Wahl zu treffen. Er kennzeichnet Lebensmittel mit einer farbigen Skala von A grün (= ausgewogen) bis E rot (= unausgewogen). Der Score wird mittels einer wissenschaftlich validierten Formel ermittelt. Dabei werden positive und negative Aspekte miteinander verrechnet.”


Mann kann also anhand des Nutri-Scores die ausgewogeneren unter den ungesunden Lebensmittel auswählen, und selbst hierbei ist, wie das Cerealien-Beispiel von oben zeigt, die Effektivität zu hinterfragen. Ich schliesse zusammenfassend mit einem “Naja…” ab.

Klar wäre es auf den ersten Blick wünschenswert, sämtliche Lebensmittel zu “labeln”, damit wir alle  jederzeit beim Einkauf wissen, wenn wir etwas “ungesundes” kaufen. Blick auf die Ampel und “Aha!” 

Ein solch umfassendes Unterfangen wird kaum möglich sein, denn anscheinend unklärbare Fragen und Probleme drängen sich auf:

Wer soll entscheiden, was gesund ist? Politiker? Kennst du das Meme über die Gesundheitsminister grosser Nationen (Achtung Internet: nicht zu ernst nehmen!)? Also nein. Vielleicht das BLV? Lieber nicht, wenn ich bedenke, dass sie die SGE und ihre veraltete Lebensmittelpyramide immer noch unterstützen.

Die Frage, was gesund ist, ist oberflächlich leicht zu beantworten. Wenn man aber jedes zum Verkauf stehende Produkt bewerten muss, wird es schwierig. Denn für gewisse Leute sind einige Sachen gesund, die für andere lebensbedrohlich sein können - man denke an Mandeln und Nussallergiker. Ist die entscheidende Person Vegetarierin, dann gilt Fleisch womöglich als ungesund, ist sie aber durch eine ketogene Diät schlank und fit geworden, stünden Fleisch und Wurstwaren an oberster, also grüner, Stelle.

Man sieht nach diesen kurzen Ausführungen, dass eine flächendeckende Bewertung bestenfalls sehr schwierig sein dürfte. Die Ursache all dieser Probleme liegt wohl ohnehin irgendwo in unserer Gesellschaft vergraben. Einerseits sind die meisten von uns schlichtweg zu faul, es ist ja auch aufwendig, sich gründlich zu informieren. Ein Instagram-Post oder gesponserter Beitrag auf 20min.ch genügt den meisten, um ihre Meinung zu bilden oder zu festigen. Indes ist es aber auch fast unmöglich, sich sinnvoll zu informieren, denn es schweben tausende verschiedener Ideen, Tipps, Fakten und Fantasien zum Thema Ernährung und Gesundheit umher.

Statt dieses fehlleitenden Nutri-Scores täte man gut daran, den Leuten zu erklären, was Proteine, Kohlenhydrate und Fette sind, was sie im Körper machen und wieviel wir davon jeweils für welche Aktivität brauchen. Dann braucht man nur noch die Verpackung umzudrehen und die Inhaltsstoffe selber zu analysieren.

Aber eben, wir sind wohl etwas faul geworden.

Quellen:

(1) https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/nutri-score.html

(2) https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/nutri-score/nutri-score-lebensmittelproduzenten.html
(3) https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/mueesli-cerealien/cerealien/nesquik-cerealien-500g/p/3583007?context=search#tab=product-nutritions
(4) https://www.coop.ch/de/lebensmittel/vorraete/mueesli-cerealien/cerealien/nestle-cini-minis-churros/p/6765311?trackingtoken=produkt%7Carea1%7CA%7CPrudsysTestEmpfehlungslogiken%7Cproduct_campaign%7CP2P_sameCat#tab=product-nutritions
(5) https://www.aldi-now.ch/de/natures-gold-rahmspinat-tiefgefroren/8892382052353
(6) https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/nutri-score.html

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