Was ist Earthing und welche potenzielle Vorteile hat es?

Erstmal ein grossen Dankeschön an Radu Gheorghica für die Recherche und die Unterstützung beim Schreiben dieses Artikels!

Wann warst du das letzte Mal barfuss? Oder besser noch, wann warst du das letzte Mal barfuss in der Natur?

Ist es nicht ein tolles Gefühl, wenn man in der Badi, nachdem man endlich einen freien Platz auf der Wiese gefunden hat, die Schuhe ausziehen und die Zehen ins frische, noch kühle Gras zu drücken und die weiche Erde darunter zu spüren?

Die meisten würden mir zustimmen: es fühlt sich gut an! Und doch sind wir heutzutage kaum noch barfuss unterwegs, und wenn doch, dann meistens zu Hause auf einem harten, flachen Boden. Natürlich kann ich jetzt schlecht empfehlen, man solle doch bitte barfuss zur Arbeit gehen und die Einkäufe erledigen, schliesslich fühlt es sich ja „gut“ an! Es stellt sich aber dennoch die Frage, ob wir aus dem oben beschriebenen Wohlgefühl nicht doch etwas häufiger Vorteile schöpfen können.

Was früher absolut normal war, ist heute nur noch im Sommer auf Wiesen und in der Hippie-Szene anzutreffen. Die nackten Füsse, später durch Lederschuhe (also „Schuhe“) umgeben waren während fast unserer ganzen Evolutionszeit in Kontakt mit dem Boden und der Erde. Es gibt ja auch Teerstrassen noch nicht so lange. Man könnte, wie so oft bei modernen Errungenschaften, hinterfragen, ob nun das Tragen von Schuhen nicht doch zu unseren heutigen Problemen mit Haltung, Rückenschmerzen und dergleichen beiträgt.

Und tatsächlich befindet sich die Barfuss-Schuh-Community seit einiger Zeit im Wachstum. Einige Firmen wie zum Beispiel vivobarefoot erfreuen sich mittlerweile grosser Beliebtheit und sie schaffen es (zum Teil) sogar, gut aussehende Exemplare zu produzieren.

Schuhform vs. Fussform

Bild von myfootfunction.com - wahrscheinlich die beste Ressource, wenn man seine Fussfunktionalität verbessern will! - Man sieht, dass der moderne Schuh mit der engen Spitze eigentlich nicht viel mit der ursprünglichen Fussform zu tun hat. Ist das ein Problem?

Solche Barfuss-Schuhe werden immer häufiger empfohlen, dies von Personal Trainern, Physiotherapeuten, Naturheilpraktikern und so weiter. Ehrlicherweise kann eine gewisse Raison nicht abgestritten werden, wenn wir vergleichen, wie Füsse eigentlich aussehen, und wie die modernen Schuhe geschnitten sind. Wir zwängen über Jahrzehnte hinweg unsere Füsse in viel zu enge Gefässe, was bei einigen tatsächlich zu Schäden führen kann, die einer Operation oder anderen Interventionen bedürfen. Im mindesten sind man den Füssen heutzutage oft an, dass sie regelmässig „malträtiert“ werden, die Zehen liegen teilweise übereinander, weil im Schuh sonst nicht genug Platz ist, der kleine Zeh ist krumm und eingequetscht. Die Barfuss-Schuhe brillieren also nicht nur mit ihrem beweglichen, dünnen Sohlen, vor allem haben sie auch eine breie „Zehen-Box“, damit die Zehen eben nebeneinander schön Platz haben. Nur barfuss wäre noch besser, oder?

Wahr ist aber auch, dass das Laufen (also Gehen, für die Deutschen) in solchen Schuhen deutlich vom heutigen Gang zu unterscheiden ist, denn es soll ja wirklich die Abwesenheit von Schuhen imitiert werden. Der barfüssige Gang will geübt sein, sonst kann es zu Schmerzen in den Gelenken führen!

Weder empfehle ich Barfuss-Schuhe, noch rate ich davon ab. Für den Moment ist mein Wissensstand zu klein, um eine definitive Aussage zu treffen, und ich belasse es bei einem Satz, von dem mir mein damaliger Deutschlehrer an der Kanti vehement abgeraten hatte: „Das muss jeder für sich selber entscheiden“.


Zumindest theoretisch trumpft das Barfussgehen schon mit ein paar Vorteilen auf:

  1. Verbesserte Fussmuskulatur: Wenn man barfuss geht, müssen die Muskeln in den Füssen und Beinen stärker arbeiten, um das Körpergewicht zu tragen und das Gleichgewicht zu halten. Dies kann dazu beitragen, dass die Muskeln im Fussbereich gestärkt werden und somit zu einer besseren Fussfunktion und Gleichgewicht beitragen.

  2. Verbesserte Propriozeption: Die Propriozeption bezieht sich auf die Fähigkeit des Körpers, seine Position und Bewegung im Raum zu erkennen und richtig wahrzunehmen. Das Barfussgehen kann die Propriozeption verbessern, da es dem Körper ermöglicht, das Gefühl und die Textur des Bodens besser wahrzunehmen, was wiederum dazu beitragen kann, das Gleichgewicht zu verbessern und Verletzungen zu reduzieren.

  3. Verbesserte Durchblutung: Barfussgehen kann dazu beitragen, die Durchblutung in den Füssen und Beinen zu verbessern, da die Fussmuskulatur bei jedem Schritt das Blut durch die Venen pumpt. Eine verbesserte Durchblutung kann dazu beitragen, Schmerzen und Schwellungen in den Füssen zu reduzieren.

  4. Reduzierte Verletzungsgefahr möglich: Das Tragen von rigiden Schuhen kann zu veränderter Statik führen, da der Körper sich ständig auf eine künstliche Stütze verlässt und die natürliche Haltung wie Lauftechnik verändert. Das Barfussgehen kann dazu beitragen, dass der Körper sich auf natürliche Weise bewegt und so das fussrelevante Verletzungsrisiko reduziert.

Es gilt jedoch zu beachten, dass das Barfussgehen auf harten und/oder unebenen Flächen das Verletzungsrisiko sogar erhöhen kann, vor allem wenn man das Barfussgehen nicht gewohnt ist. Es ist also Vorsicht geboten. Wer es ausprobieren möchte setzt sich am besten vorher etwas mit der physiologisch korrekten Geh- und Lauftechnik auseinander und beginnt mit kleinen Intervallen und kurzen Spaziergängen von wenigen Minuten, die man dan kontinuierlich ausdehnen kann.

Generell empfehlen kann ich beim Schuhkauf, dass man darauf achtet, Schuhe zu kaufen, die vorne möglichst breit und biegsam sind, damit die Zehen doch etwas Freiheit im Schuh haben. Aber natürlich kaufe auch ich meine Schuhe häufig auch wegen des Aussehens und des Styles, man halte mich bitte nicht für einen Heuchler. Weiter habe ich, ohne diese Erfahrung auf Studien stützen zu können, gute Erfahrungen damit gemacht, die Schuhe ab und zu, also z.B. am Mittag, zu wechseln, wenn man den ganzen Tag darin stecken muss.


Grounding: Kann uns die Erde heilen?

Nachdem nun klar ist, dass das Weglassen des rigiden Schuhwerks durchaus positive Effekte auf die Haltung und die Muskulatur haben kann, können wir noch einen Schritt weiter gehen (Mein Antrag auf König der Wortspiele ist noch pendent).

In letzter Zeit macht Grounding, auch als Earthing bekannt, die Runde. Der englische Begriff, der übersetzt nichts anderes als „erden“ bedeutet (das grün-gelbe Kabel beim Montieren der Deckenlampen kommt einem in den Sinn), beschreibt die Praxis, den Körper mit der Erde zu verbinden, in der Regel in dem man sich barfuss darauf bewegt.

Die Verfechter dieser Praxis postulieren, dass das Erden des Köpers zahlreiche gesundheitliche Vorteile mit sich bringt. Es soll Entzündung reduzieren, den Schlaf und unseren Energiehaushalt verbessern, Stress reduzieren, indem der Sympathikus (z.B. für Fight-or-Flight-Reaktion zuständig) de- und der Parasympathikus  (für Entspannung zuständig) aktiviert wird.

In einer Studie konnte sogar gezeigt werden, dass durch das Earthing das Blut dünner wurde, wodurch Entzündungsmarker reduziert werden konnten.

Man darf ruhig auch zugeben, dass ab den 60er-Jahren vermehrt auf Gummi oder Plastik für die Schuhproduktion gesetzt wird, was Elektrizität schlecht leitet, an Stelle von Leder, und dass ab den 60er-Jahren chronische Krankheiten drastisch zugenommen haben. Selbstredend handelt es sich hierbei bestenfalls um eine Korrelation, da zum Beispiel auch ab den 60er-Jahren vermehrt Bürojobs, zuckerhaltige Frühstücksflocken, die Anti-Baby-Pille, Fernseher, Transfette oder Fertigprodukte den Weg in unsere Gesellschaft fanden und es schwer ist, zu eruieren, was wozu führte. Interessant ist die Tatsache nichtsdestotrotz.




Ich bin zwar kein Stromer, aber…

Die Theorie dahinter lässt sich kurz erklären: 

Die Erdoberfläche verfügt über eine unendliche Reserve freier Elektronen. Die Erdoberfläche leitet die Elektrizität und über den nackten Hautkontakt dazu entsteht eine elektrische Verbindung über die wir die freien Elektronen aufnehmen können. Deren Aufnahme wiederum führt zu einer Reduktion der sogenannten freien Radikalen (Achtung: Pandoras Büchse). Diesen wird nachgesagt, in Verbindung mit dem Alterungsprozess und dem Wachstum von beispielsweise Tumoren zu stehen. Nur negativ ist die Geschichte mit den freien Radikalen zwar nicht, aber ich überspringe das Biochemie-Studium für diesen Artikel und verschiebe es auf ein anderes mal („Zwinker“).





Esoterik vs. Wissenschaft: Nützt es nun was oder nicht?

Auch mir erscheint die Erklärung und überhaupt das ganze Thema etwas esoterisch, wobei ich mir dann auch die Frage stellen kann, ob das denn etwas Schlechtes ist. Während ich nun zum Beispiel Energiekristallen, Geburtssteinen und Sternzeichen nichts abgewinnen kann, so steht für mich ausser Frage, dass Hautkontakt mit einer kühlen Wiese im Sommer ein angenehmes Gefühl auslösen kann. Ob das nun an Elektronen liegt, die wir von der Erdoberfläche aufnehmen oder sonstige Gründe hat, ist womöglich gar nicht so relevant.





Kommen wir nun zur entscheidenden Frage für einen Fitnessblog, der behauptet, wissenschaftlich und evidenzbasiert zu schreiben:
Was sagt denn jetzt die Wissenschaft dazu?

 
 

Obwohl viele Behauptungen über das Earthing schlechte oder keine wissenschaftliche Unterstützung geniessen können, gibt es doch einige Studien, die zumindest andeuten, dass Grounding positive Effekte auf unsere Physiologie und unseren Körper haben kann.

Eine Studie, die im Journal of Environmental and Public Health veröffentlicht wurde, zeigte antiinflammatorische, als entzündungshemmende Effekte auf, indem durch das Grounding (bin ich der einzige, der bei diesem Wort immer an die damalige Swissair denken muss?) das Stresshormon Cortisol gesenkt und das antioxidative (=freie Radikale bekämpfende) Enzym Superoxid Dismutase erhöht wurde.

Eine weitere Studie aus dem Journal of Alternative and Complementary Medicine stellte fest, dass Grounding bei Leuten mit chronischen Schmerzen die Schlafqualität verbessern, Schmerzen lindern und Stress reduzieren konnte.

Mann muss aber feststellen, dass diese, und weitere, Studien, durchaus auch Limitationen wie zum Beispiel kleine Testgruppen oder das Fehlen einer Kontrollgruppe aufweisen, was es uns erschwert, definitive Schlüsse zu ziehen.


Während es also einige Hinweise darauf gibt, dass Grounding tatsächlich mehr als nur ein Placebo-Effekt ist und uns positiv beeinflussen kann, sind weitere und vor allem auch qualitativ hochwertigere Studien und Untersuchungen nötig, um eine klare Antwort auf die Frage des Earthings zu geben. 

Letztendlich könnte es durchaus einen Versuch wert sein, seine Fusskrücken öfters abzulegen, die Fussmuskulatur ein bisschen zu trainieren und den Kontakt zum Untergrund zu geniessen (oder zu ertragen). Kosten tut es nichts, von daher könnte es nicht schaden, es ein paar Mal, dann im Frühling vielleicht, auszuprobieren.

Im Buch „Earthing, the most important discovery ever?“ wird erklärt, dass 30-40 Minuten pro Tag reichen, um sich die Vorteile des Barfussgehens (draussen, natürlich) zu ergattern. Damit ist natürlich nicht die Bahnhofstrasse in Zürich gemeint. 

Falls du schon positive Erfahrungen damit gemacht hast oder es ausprobierst, lass uns doch wissen, wie es dir erging! Am besten schreibst du uns auf info@strongercoaching.ch!


Literatur:

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Stressmanagement: Ist Stress gesund?

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Wie setzt man sich Ziele, die man dann auch erreicht?