Alles, was du über Faszien und Faszienrollen wissen (und wieder vergessen) musst!

Von Faszien und Rollen

Seit einigen Jahren tummeln sich in den Fitnesszentren und Wohnzimmern der Home-Workout-Liebhaber haufenweise sogenannte Faszienrollen in allen möglichen Formen, Farben und Funktionen.

Natürlich, wie jedes Mal, wenn sich ein neuer Fitnesstrend durchsetzt, werden diese neuen Wundermittel, in diesem Fall eben die Faszienrolle, von allerlei Halbwissen begleitet. Ganz der Gesetzmässigkeit des altbekannten Dunning-Kruger-Effekts entsprechend (Selbstüberschätzung bei sehr geringer Kenntnis eines Themas), stammen diese Pseudo-Weisheiten häufig nicht von Fachpersonen mit Anatomie- und Physiologiekenntnissen, sondern von Laien, die (höchstens) ein kleines Bisschen über Sport wissen, weil sie selber schon einmal trainiert haben. Dunning-Kruger halt.

So unglücklich wie unüberraschend ist, dass sich unter die Verbreiter einiger Unsinnigkeit dann doch auch ausgebildete Experten aus den Bereichen Medizin, Physiotherapie, Osteopathie, Chiropraktik etc. gesellen.


Nun ist es für dich an der Zeit, mit dem Halbwissen Schluss zu machen, Halbwissende in die Wüste zu schicken und zu lernen, was es mit den Faszien tatsächlich auf sich hat und welche Rolle zum Beispiel eben diese Faszienrollen spielen – damit du nicht zum Fitnessclown-Club gehörst, sondern mit echten, wissenschaftlich fundierten Fakten auftrumpfen kannst, wenn das nächste Mal wieder eine Faszienrolle zum Gesprächsthema wird.

Faszien: Networking für Fortgeschrittene

Was Faszien angeht, würde ich mich selbst als grösstenteils unwissend bezeichnen. Ich weiss, dass Faszien unsere Muskeln und Organe umschliessen, und dass das so auch ziemlich sinnvoll ist. Dann gibt es noch einen Grad an Gleitfähigkeit innerhalb dieser Faszien und ich weiss, dass Therapeuten auch diese Faszien therapieren können – und dass das schmerzt. Lange Zeit habe ich den Leuten in den Gyms beim Ausrollen ihrer Muskulatur oder Faszien oder was auch immer zugeschaut, und mir nichts dabei gedacht.

Nun liess ich mich, um diesen Artikel schreiben zu können, belehren.

Riesiges Dankeschön an dieser Stelle an Tamara Kamm und Selina Wittenwiler für das Zusammentragen aller nachfolgenden Fakten, Beispiele, Erläuterungen und Lerninhalte ihrer Physiotherapieausbildung. 

Ganz richtig, das Wissen kommt direkt von zwei Top-Physios, besser kann es gar nicht werden!

Nun sollten wir aber langsam zum Thema kommen:
Was sind Faszien, was machen diese, wie funktionieren sie, wieso und so weiter…


Auf der Abbildung erkennt man am Beispiel von Muskulatur bestens, wie Faszien ein faseriges Netzwerk bilden. Diese aus Kollagen bestehende Bindegewebsstruktur, die wir Faszie nennen, umschliesst Muskelfasern, Muskelbündel, Muskeln, Bänder, Sehnen und Organe.

Wir sind eigentlich von Kopf bis Fuss von Faszien umgeben, und das ist auch gut so! Denn die Faszien erfüllen einige sinnvolle Aufgaben für uns:

Die Aufgaben von Faszien

  • Faszien umhüllen die Organe und Muskeln und trennen sie dadurch auch voneinander ab

  • Sie sichern somit auch die Form unserer Muskeln und Organe und sorgen dafür, dass alles an seinem Platz bleibt

  • Das eng verflochtene Fasziennetzwerk verbindet alle Teile des Körpers miteinander

  • Die Faszien sorgen für Kraftübertragung zwischen Muskeln und Sehnen

  • Gleichzeitig dienen sie als Stossdämpfer und schützen dich und deine Organe vor Traumata

  • Sie sorgen für reibungsloses Gleiten der Strukturen, was uns Bewegung ermöglicht

  • Zusätzlich sind die Faszien auch für körperliche Wahrnehmung und Bewusstsein zuständig, d.h., sie nehmen kleinste Spannungsänderungen der Muskeln oder Organe wahr und leiten dieses Signal weiter

  • Dank ihrer zahlreichen Nervenrezeptoren können Faszien auch Schmerzen weiterleiten (beispielsweise Schmerzen am Gesäss nach längerem Sitzen)

  • Sie übernehmen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel und Immunsystem, weil sie die Nerven- und Lymphbahnen und Venen stabilisieren, wodurch Abfallstoffe aus den Zellen ab- und Aufbaustoffe hinein transportiert werden können, die Nerven sind für die Informationsübermittlung im Körper zuständig.

Der komplexe Aufbau unserer Faszien

Da die Faszien jedes Muskelfaserbündel umschliessen, hast du selber, vorausgesetzt du bist nicht seit Geburt vegan, schon reichlich Fasziengewebe verzehrt. Manchmal hattest du wahrscheinlich sogar schon sichtbare Faszien auf dem Teller, diese zähe, kaum kaubare weisse Schicht, die noch am zarten Fleisch dran hängt.


Sie sind aus verschiedenen Schichten aufgebaut, innerhalb dieser Schichten verlaufen die Fasern je nach Standort in unterschiedliche Richtungen. Eine der Faszienschichten, die Oberflächenfaszie, umhüllt einmal den gesamten Körper! FASZIENierend!  

In den Gelenksregionen, wo die Faszien auf Bänder (Ligamente) treffen, sind sie deutlich dicker und viel weniger dehnbar, was aber in anderen Körperregionen nicht der Fall ist.

Die Fasern bestehen aus verschiedenen Komponenten, ich verzichte jetzt aber darauf, über Kollagentypen, Dermatansulphat und Chondroitinsulphat zu sprechen, weil… Ja.

Physiologie der Faszien: Wie machen die das?!?

Nachdem wir nun über die essentiellen Aufgaben der Faszien in unseren Körpern Bescheid wissen, schauen wir uns an, wie sie zu Werke gehen und wie wir dabei hilfreich oder kontraproduktiv wirken können.

  • Faszien können kontrahieren und bewegen sich ununterbrochen mit einer Frequenz von 8-12 Zyklen pro Minute. Hierdurch wird der venöse und lymphatische Abfluss stimuliert. Das bedeutet, dass die Abbauprodukte aus den Zellen abtransportiert werden können. 

  • Faszien werden während Dehnung steifer

  • Bei einer Erhöhung des Druckes auf das Gewebe ziehen sich die kollagenen Fasern durch Wasserumverteilung zusammen

  • Auch andere Energiequellen wie Licht, Wärme, Elektrizität, Elektromagnetismus könne dies Veränderung auslösen

  • Faszien könne über Nervenendigungen aktiviert werden

Nun könnte man das bisher geschriebene auch in einem vereinfachten Satz zusammenfassen:
Faszien sind unglaublich wichtig für unsere körperlichen Funktionen, und mindestens genauso unglaublich komplex aufgebaut.

Und aus diesem Grund solltest du deinen Faszien Sorge tragen. So bleiben sie gesund, geschmeidig oder steif, je nach dem wo sie gerade eingesetzt werden. Im Grunde braucht es dafür zwei Dinge:

  • Faszien benötigen Bewegungen, um ihre freie Beweglichkeit gegenüber anderen anatomischen Strukturen beizubehalten

  • Faszien benötigen mechanischen Stress, um ihre Stabilität und Elastizität beizubehalten

Alter und Zeitkrankheiten: Probleme und Gefahren für unsere Faszien

Wie fast alles in unserem Körper, unterliegen auch unsere Faszien einer andauernden Degeneration, was bedeutet, dass die Faszien im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Alter Qualitätseinbussen erfahren. Dies wird durch Bewegungsmangel und schlechte Lifestyle- und Ernährungsmuster beschleunigt – wie könnte es auch anders sein!

Mit der Zeit und durch zu wenig Bewegung (wir hatten ja oben erwähnt, dass Faszien Bewegung brauchen), wird weniger «Faszienmaterial» hergestellt, die Stabilität und die Dehnbarkeit verringert sich. Dies kann natürlich auch durch äussere Verletzungen passieren.

Wenn wir uns aber zu wenig, oder immer nur sehr einseitig bewegen, also immer die gleichen Bewegungen machen, und andere Bewegungen nie machen, verlieren die Faszien an den belastungsfreien Stellen ihre Leistungsfähigkeit. Der Abfall- und Nährstofftransport wird eingeschränkt und es kann zu den altbekannten Verklebungen kommen, worüber in letzter Zeit alle sprechen, und letztendlich zu Schmerzen.

Denken wir beispielsweise an den Squat (Kniebeuge). Diese Bewegung kommt im Alltag häufig vor, man setzt sich auf den Stuhl, Sessel, Autositz oder aufs Klo. Das Problem ist, dass wir bei diesen “Alltags-Squats” nie das gesamte Bewegungsausmass des Kniegelenks belasten.

Unser Model zeigt hier einen schönen tiefen Squat!

Auch beim Joggen wird das Knie nie ganz gebeugt. Wenn wir dann beim Training auch noch (aufgrund mangelnder Beweglichkeit, übermässigen Egos oder wieso auch immer) den Squat nie bis ganz tief machen, bleibt ein Rest der Kniebeugebewegung ungenutzt, vor allem unter Belastung, was aber für optimales Fasziengewebe nötig wäre. Schon mal vorweg ein guter Grund, um beim Training so oft wie möglich das ganze Ausmass der Gelenkbewegung (=ROM=Range of Motion) zu durchlaufen. Ansonsten kreieren wir ein erhöhtes Risiko für die Degeneration, also den steten Abbau des Fasziengewebes (nebst dem, dass das für das Gelenk ohnehin schon wichtig ist!)

Zusätzlich wirkt sich insbesondere Stress und unausgewogene Ernährung negativ auf die Faszie aus, indem es zu vermehrten Verklebungen, sogenannten Crosslinks kommen kann. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass aufgrund der faszialen Vernetzung ja eigentlich der gesamte Körper, also alle Organe und Muskeln, miteinander verbunden sind, wodurch sich auch weit voneinander entfernte Körperteile beeinflussen können.

Bewegung, Bewegung, Bewegung!

Die Frage lautet jetzt natürlich, was das für dich bedeutet oder was du mit dieser Information anfangen kannst???

Die Physiotherapeuten wissen in der Regel, wie sie mit Fasziengewebe umzugehen haben. Netterweise liessen sich unsere Physios dazu überreden, ihre Geheimnisse preiszugeben, damit auch du in Zukunft weisst, was du (und was du nicht) mit und für deine Faszien tun kannst.

Bewegung ist, wie schon gesagt, wieder einmal entscheidend! Das tolle ist aber, dass es nicht nötig ist, extra für die Faszien noch etwas zu tun. Wer sich grundsätzlich um seine Gesundheit kümmert, der treibt Sport. Durch Krafttraining, aber auch durch andere Sport- und Bewegungsarten erhalten die Faszien die Belastung und Bewegung, die sie benötigen, um gesund, stabil und flexibel zu bleiben.

Da die Faszien überall und allumfassend sind, ist ein Ganzkörpertraining grundsätzlich sinnvoll, was praktischerweise auch für Krafttraining im Allgemeinen gilt. Toll, oder?

They see me rollin’…

Und nun kommt die ach so geliebte Faszienrolle ins Spiel:

Mittels Faszienrolle kann man Verhärtungen im Muskelgewebe lösen und die Beweglichkeit steigern. Zusätzlich werden Blutgefässe erweitert und durchlässiger. Ausserdem wird durch den Druck der Rolle Wasser aus dem Gewebe gedrückt, sodass Abfallprodukte effizienter «entsorgt» und anschliessend, in Ruhestellung, wieder neue Nährstoffe aufgenommen werden können. Der Stoffwechsel wird beschleunigt. Klingt ja alles schon mal super!
Diese Effekte sind allerdings nur kurzfristig geniessbar, da sie nach kurzer Zeit wieder abklingen. 

Zwei Meta-Analysen, sozusagen das Nonplusultra der wissenschaftlichen Literatur, worin alle «guten» Studien zum Thema zusammengefasst werden, aus den Jahren 2019 und 2022, konnten ebenfalls keine oder nur sehr minimale Leistungs- und Beweglichkeitsverbesserungen bei den Probanden erkennen, und wenn, dann nur kurzfristig, also direkt nach dem Rollen.

Bis sich also langanhaltende Effekte einstellen, falls überhaupt, dauert es mehrere Monate und eine Kombination mit Krafttraining und tonnenweise, so häufig wie möglich angewandte Dehnungsübungen (mehr zum Dehnen hier) erscheint sinnvoll, um die kurzfristigen Resultate der Faszienrolle auf Dauer zu festigen. 

Grundsätzlich ist der Nutzen der Faszienrolle also zu hinterfragen, und leider ist sie längst nicht dies allesheilende Wundermittel, als die sie uns häufig angedreht wird. ABER! Wenn du dir das Rollen vor dem Training angewöhnt hast, und es dir als Vorbereitungsritual dient, spricht auch nichts dagegen! Man sollte für solche Handreichungen deshalb immer auch die psychischen oder mentalen Effekte bedenken. Dieser Aspekt ist nicht nur für Sportler vor Wettkämpfen wichtig, sondern auch für unser mentales Warm-up vor dem alltäglichen Training (und hier gibt es mehr zum Thema Warm-up zu lesen)!

Was kannst du mit der Faszienrolle für deine Faszien tun?

Was die Faszienrolle jedenfalls nicht tut: Faszien behandeln oder chronische Probleme langfristig lösen. Faszien kleben so eng an den Organen oder Muskeln, dass man sie nicht solitär behandeln kann. Was wiederum bedeutet, dass der Begriff Faszienrolle irreführend, mindestens unvollständig ist. Es ist eher eine

Faszien-Muskel-Sehnen-Psycho-Gewebe-Gefässe-Rolle.

Geil, oder?!

Es ist auch nicht möglich, jedenfalls mir und dir (ausser du bist Physiotherapeut, Osteopath, Arzt oder Ähnliches) nicht, ein Problem mit den Faszien zu eruieren. Woher sollen wir denn wissen, ob der Schmerz von Problemen mit den Faszien, den Muskeln, den Nerven oder unserer Psyche stammt?!

Es ist also sinnlos und dummes Geschwätz, zu sagen, dass man jetzt vor dem Training die Faszien mobilisiert oder was auch immer so in den Fitnesszentren herumposaunt wird.

Dennoch hat die Faszienrolle einiges auf dem Kasten, wenn man sie einzusetzen weiss!

Verklebungen und Verhärtungen können durch Ausrollen gelöst werden.

Wer seine Beweglichkeit langanhaltend erhöhen möchte, könnte ebenfalls von der Faszienrolle profitieren. Zwar verbessert sie die Beweglichkeit nur kurzfristig, aber genau das könntest du dir zu Nutze machen, um deine Beweglichkeit zu verbessern. Nehmen wir nochmals den Squat (Kniebeuge) als Beispiel. Weil du unsere Blogs liest, weisst du, dass es wichtig ist, den Squat so tief wie möglich ausführen zu können. Dir fehlt aber die Beweglichkeit, um mit den Hüften tiefer als das Kniegelenk zu sinken (bei vielen ca. 90° im Kniegelenk).

Nun hast du bei uns sicherlich auch schon gehört, dass das beste Dehn- und Mobilisierungstraining einigermassen schweres Krafttraining ist. Was also die Beweglichkeit deines Fussgelenks (Dehnung der Wade) und vielleicht deiner Oberschenkelmuskulatur am besten fördert, ist ein tiefer Squat. Ein tiefer Squat macht also deinen Squat tiefer. Schlau, oder?

Nun lässt sich diese Tatsache doch wunderbar mit der Faszienrolle kombinieren, nicht wahr?
Erst Wade und Oberschenkel ausrollen und die dadurch errungene, wenn auch kurzfristige, höhere Beweglichkeit nutzen, um tiefere Squats zu üben, und so diese erhöhte Flexibilität dann auch langfristig zu erhalten! So simpel und so fantastisch, oder?
Dieses Muster lässt sich eigentlich auf alle möglichen Körperpartien anwenden. Dadurch haben wir schon zwei interessante Funktionsweisen der Faszienrolle aufgedeckt. 

Für das Rollen gilt grundsätzlich, dass es schmerzt. Und dass man einige Minuten dranbleiben muss (vielleicht etwa bis der Schmerz etwas nachlässt).

Als letzten Punkt zur Faszienrolle würde ich noch gerne erwähnt haben, dass natürlich auch eine Art «Massageeffekt» erzielt wird. Dies kann uns beispielsweise dabei helfen, nach dem Training wieder in einen parasympathischen (Entspannung) Zustand zu kommen, und in diesem Sinne als Teil des Cool-Downs fungieren. Cool, diese Faszienrolle. 

Zu guter Letzt sei noch gesagt, dass wir natürlich jederzeit, vor allem zuhause oder bei der Arbeit viel für unsere Faszien machen können. In erster Linie, in dem wir all das nicht tun, was den Verschleiss, die Verklebung und die Versteifung der Faszie begünstigt: lange in der gleichen Position sitzen, ungünstige Haltungen verewigen und stundenlang nichts ausser vielleicht die Arme und Finger bewegen.
*Hust, Hust* “Bürojob” *Hust, Hust*

Dies führt unter anderem zu schlechter Durchblutung und Schmerzen. Entscheidend ist also, dass du im Alltag die Position und somit die Art der Belastung variierst. Stehpulte, Spaziermeetings, Bewegungspausen, Arbeitsunterbrüche mit Gang zur Kaffeemaschine, Klo, etc.

À propos, ich sollte mich jetzt etwas bewegen gehen.

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Wie setzt man sich Ziele, die man dann auch erreicht?

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Arthrose: Alles, was du für die Prävention und Behandlung wissen musst!